Die Ausstellung Joachim Giesel. Verrückt nach Ilten: Bilder aus einer Psychiatrie zeigt im Rahmen der zehnten Ausgabe des f/stop Festivals die künstlerische Auseinandersetzung des Fotografen Joachim Giesel mit den sozialen Konstruktionen rundum psychiatrische Einrichtungen. Wie sichtbar sind die Lebensrealitäten von Menschen, die in psychiatrischen Kliniken leben und arbeiten in unserer gesellschaftlichen Öffentlichkeit? Und welche Rolle kann Fotografie in der Sichtbarmachung dieser einnehmen?
Vom 31. Mai bis 16. Juni 2024 wird erstmals eine Auswahl an Fotografien aus der gleichnamigen Werkserie im Joachim Giesel Archiv präsentiert. Die Ausstellung ist mittwochs bis sonntags von 14 bis 18 Uhr öffentlich und kostenfrei zugänglich.
Die Vernissage am 31. Mai um 18 Uhr lädt alle Interessierten ein, sich in einen Austausch mit den Werken, dem Künstler selbst und über Fotografie zu begeben.
Joachim Giesel. Verrückt nach Ilten: Bilder aus einer Psychiatrie
„In unserer Gesellschaft, in der jeder vor allem nach seiner Stellung im ökonomischen Gefüge definiert wird, sind alle benachteiligt, die außerhalb stehen […] Mangelnde Information und Kommunikation verursachen bei uns Ängste und führen zu Vorurteilen.“ – Joachim Giesel
Zwischen 2000 und 2003 besucht der Fotograf Joachim Giesel regelmäßig das 20km östlich von Hannover gelegene Klinikum Wahrendorff im Ortsteil Ilten der Stadt Sehnde. Die Fotografieserie Verrückt nach Ilten zeugt von den Begegnungen des Künstlers mit den Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen der psychiatrische Einrichtung und spiegelt ein soziales Gefüge, das außerhalb der Öffentlichkeit und des normativen gesellschaftlichen Lebens existiert. Begonnen als Auftragsarbeit für die hauseigene Zeitung Is ja Ilten des Klinikums, entwickelt Joachim Giesel ein intensives, persönliches und künstlerisches Interesse, das ihn immer wieder zurück an den Ort Ilten zieht. Die Menschen in Ilten gewähren Joachim Giesel und seiner Kamera Einblicke in ihr Leben, ihr Zuhause, ihre Alltags- und Arbeitspraktiken. In den Porträts der Serie zeigt sich die enge Zusammenarbeit zwischen dem Fotografen und den Fotografierten. Betrachter*innen der Bilder blicken in die Gesichter aktiver, handlungsmächtiger Individuen, die den Blick der Kamera auf ihre Körper und Leben selbst bestimmen und sich selbstbewusst inszenieren. Diese Kontrolle zeigt sich vor allem in dem radikalen Bruch mit der traditionellen Signatur des Künstler*innen-Individuums, denn die Fotografierten signieren ihre Bilder selbst. Die Arbeiten bilden ein fotografisches Archiv, das die Existenz von damals wie heute oftmals gesellschaftlich Ausgeschlossenen dokumentiert. In seiner Begriffswahl begibt sich der Titel der Serie in einen aufgeladenen Diskurs, der heute gesellschaftlich breiter verhandelt wird als je zuvor. Die ableistische Wortwahl bespielt den Diskurs um psychische Zustände, die durch eine logistisch-räumliche Bedeutungsebene des Ver-rückt-Werdens und der emotionalen Konnotation des verrückt-nach-etwas-Seins ergänzt wird. Erzeugt wird ein Spannungsfeld zwischen der Reproduktion ableistischer Denkmodelle und der kritischen Reflexion dieser. Verrückt nach Ilten konfrontiert die Betrachtenden mit dem vergeblichen Versuch die Abgebildeten nach stereotypen Kategorien einzuordnen und regt hierdurch einen inneren Prozess an, an dessen Ende sich Fragen nach der Konstruktion und dem Gefahrenpotential solcher Modelle eröffnen.
Die Fotografien transportieren Bilder einer Heterotopie hinein in die Öffentlichkeit. Sie beleuchten und hinterfragen den sozialen und physischen Raum Psychiatrischer Kliniken als Orte individueller Fürsorge und als Lebensraum, aber auch als Orte des Ausgeschlossen-Werdens, als Orte die unsichtbar machen.