Vor dem Haus steht das neue Auto, ein Volkswagen, bereit für den nächsten Wochenendausflug. Im Wohnzimmer flimmert der Fernseher – seit kurzem in Farbe – und die Kinder spielen mit Brettspielen von Pelikan und mit Spielzeugautos von Stabo. Ein Teenager sitzt auf der Couch, vertieft in die neue Bravo, während über die neuen Sennheiser-Kopfhörer Popmusik läuft. Nebenan im Arbeitszimmer steht der neue Heimcomputer von Commodore und revolutioniert die Büroarbeit. Das ist das Bild, das uns Joachim Giesels Werbefotografien von der Bundesrepublik der 1970/80er Jahre zeigen. Heute sind seine Aufnahmen als historische Zeitzeugnisse anzusehen, die uns den bundesdeutschen Konsum und Wohlstand von einst nachvollziehen lassen. Das sogenannte Wirtschaftswunder wird zwar Mitte der 1970er Jahre von der globalen Ölkrise erschüttert, doch der Lebensstandard der Bürger*innen steigt im Laufe zweier Jahrzehnte kontinuierlich. Die Automobilbranche boomt, der eigene Wagen wird zum Statussymbol und im Zuge des technologischen Wandels erhalten Stereoanlagen, Farbfernseher und bald auch die ersten PCs Einzug in westdeutsche Haushalte. Die Unternehmen entdecken neue Möglichkeiten, kundenorientiert zu werben, und richten ihr Marketing mit neuen Strategien aus. Von der wachsenden Verwendung und Bedeutung der Werbefotografie profitiert nicht zuletzt Giesel: Nachdem er sich Mitte der 1960er Jahre selbständig gemacht hat, erweist sich die Werbefotografie als profitable Grundlage für seine Karriere. Werbeagenturen versorgen ihn mit Aufträgen, die ihm früh finanzielle Sicherheit garantieren. Hannover – die Stadt, in der Giesel lebt und arbeitet – gilt als Wirtschaftsstandort und beheimatet viele bedeutende Unternehmen. Durch seine Aufnahmen für Marken wie Rossmann, Telefunken und Blaupunkt macht er sich rasch einen Namen in der hartumkämpften Branche. So bleibt die Werbefotografie bis in die 2000er Jahre existentieller Teil seines Berufes. Das Angebot an Marken und Produkten, das im Laufe der Jahrzehnte immer breiter wird, findet sich auf Plakaten mit lächelnden Gesichtern und einprägsamen Slogans, in verlockenden Zeitungsanzeigen und bunten Katalogen wieder. Die Werbung jener Jahre prägt die bundesdeutsche Gesellschaft in vielerlei Hinsicht, indem sie durch Bild und Text an die Konsumlust der Westdeutschen appelliert. Gleichzeitig finden gesellschaftliche Werte und Bedürfnisse ihren Weg in die Werbung, die Giesel im Auftrag von Werbeagenturen fotografisch einbindet. Sieht man sich heute Werbeanzeigen mit seinen Fotografien an, mögen sich einige Motive als überholt erweisen, nicht zuletzt, weil die Werbung zu dieser Zeit noch nachhaltig von Sexismus geprägt ist und stereotype Rollenbilder reproduziert. Andere hingegen lassen uns schmunzeln oder wecken nostalgische Erinnerungen. Sie alle illustrieren, was sich die Menschen damals wünschten, wie sie konsumierten und was das gute Leben in der Bundesrepublik ausmachte.

Charlotte Stobbe