TOR!

Mit sechzehn Jahren ist Joachim Giesel ein begeisterter Fußballer. Am 15. September 1956 trifft er mit seiner Schülermannschaft im Niedersachsenstadion auf eine aus Hamburg. Nach Abpfiff bleibt er im Stadion, denn an dem Tag tritt erstmals eine Mannschaft des sogenannten Ostblocks in einem Freundschaftsspiel auf deutschem Boden gegen das westdeutsche Team an – ein gleichermaßen sportlich wie politisch besonderes Ereignis. Laut des Hamburger Abendblattes treffen „inmitten einer politisch keineswegs entspannten Zeit“, elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und mitten im Kalten Krieg, die Mannschaft der Bundesrepublik, die zwei Jahre zuvor erstmals Weltmeister geworden ist, auf die Sowjetunion mit dem legendären Lew Jaschin im Tor. 86.000 Zuschauer⁎innen verfolgen das Spiel, unter ihnen auch Fans aus der DDR, die trotz Anweisung der Staatssicherheit zur „Bekämpfung der Republikflucht“ anreisen. Giesel mischt sich unter die akkreditierten Journalisten und Fotografen am Spielfeldrand. Mit dabei hat er seine erste Kamera, eine Voigtländer Bessa, die er vom Vater zur Konfirmation bekommen hat. Im Anschluss reicht er seine Fotografien bei der Hamburger Jugendzeitschrift Rasselbande ein. Diese veröffentlicht unter dem Titel Meine Kamera und ich sahen. Das Spiel des Jahres sechs Aufnahmen: die Aufstellung der deutschen Elf, den Wimpeltausch der Kapitäne Fritz Walter und Igor Netto sowie vier Aufnahmen des Spiels. Mit der Veröffentlichung verdient Giesel sein erstes Honorar. Das Spiel gewinnt die sowjetische Mannschaft mit 2:1.

Katrin Kaiser