Kanzlergalerie

Joachim Giesel, Porträt Helmut Kohl im Kanzlerbungalow, Bonn, 1992.

Helmut Kohl schaut kurz auf. Er hat gerade an seinem Schreibtisch in seinem Adressbüchlein geblättert. Möglicherweise hat er nach der Telefonnummer von George Bush, Margaret Thatcher oder Michail Gorbatschow gesucht. Der Kanzler braucht nur zum Hörer zu greifen. Joachim Giesels Porträt ist Teil eines Auftrags, der für die Organisation Weißer Ring entsteht. Als einer von fünfzehn Fotografen soll er prominente Mitglieder wie Rudi Carrell, Inge Meysel oder eben den Kanzler für eine Ausstellung fotografieren. Um nicht das x-ste Porträt von Kohl hinter dem Schreibtisch aufzunehmen, will Giesel diesen stattdessen in seinem privaten Umfeld zeigen. Doch dazu braucht er einen Termin beim Kanzler, denn dieser lehnt Fototermine solcher Art schlicht ab. Aber Giesel hat einen Trumpf im Ärmel: Mitte der 1970er Jahre hat er Kohl schon einmal fotografiert und das Porträt initiativ an dessen Büro geschickt, wo es 1976 für die Wahlkampfplakate der Bundestagswahlen Verwendung fand. Kohl verliert die Wahl, aber Giesel hat nun eine Referenz. Nach mehreren Gesprächen mit Kohls Büroleiterin Juliane Weber erhält er einen Termin im Büro des Kanzlerbungalows in Bonn. Aufgrund einer Dienstreise verspätet sich Kohl, Giesel bleibt nur eine Viertelstunde. Die reicht für vier Settings: Kohl am Aquarium und vor seiner Steinsammlung, hinter und vor dem Schreibtisch; für die Ausstellung wird der Weißen Ring letzteres auswählen. Kohl ist von Giesels Arbeit beeindruckt – wenig später bedankt er sich in einem persönlichen Brief.

Konrad Schopplich

Zusatzmaterial

Joachim Giesel, Wahlplakt der CDU mit einem Porträtfoto Helmut Kohl von Joachim Giesel, Hannover, 1976.
Photographie Joachim Giesel, Joachim Giesel mit Helmut Kohl bei dem Fototermin im Kanzlerbungalow, Bonn, 1992.