Verrückt nach Ilten

Joachim Giesel, Porträt Joachim R. (aus der Serie Verrückt nach Ilten), Ilten (Sehnde), 2001/02.

„Ich trage gerne die Latzhose, weil sie blau ist wie die Wand hinter mir – ist meine Lieblingsfarbe – und wegen der vielen Taschen. In einer steckt meine Pfeife.“

In Hemd und Latzhose wendet sich Joachim R. mit leicht geöffnetem Mund und direktem Blick uns zu. Auf der Wand hinter ihm ist eine zweimal vertikal zerschnittene Leinwand angebracht, die mit grobem Pinselstrich abstrakt bemalt ist. Er sagt, dass diese und seine Latzhose blau sind – „meine Lieblingsfarbe“. Wie er in dieser Aufmachung vor der Wand steht, lässt den Schluss zu, dass er dessen Künstler ist und das Porträt als ein Künstlerporträt gelesen werden kann. Ein wenig erinnert es an Aufnahmen von Hans Namuth, welche den amerikanischen Action-Painter Jackson Pollock zeigen, wie er kritisch in die Kamera schaut, während hinter ihm eines seiner Dripping-Gemälde an der Wand lehnt. Lediglich das Krankenhausbett mag einen Hinweis darauf geben, dass sich R. nicht in seinem Atelier, sondern im Klinikum Wahrendorff befindet. Joachim Giesel hat R. gebeten, „direkt zu mir“ in die Kamera zu schauen, so wie er es bei allen Porträtierten seiner Serie tut. Auf diese Weise überwindet R.s Blick die Distanz zwischen ihm und uns, wodurch ein reziproker Blickkontakt entsteht: Mit einem Male scheinen nicht mehr wir diejenigen zu sein, die den Porträtierten betrachten und beurteilen. Vielmehr entsteht bei uns das Gefühl, dass wir es sind, die von R. skeptisch gemustert und befragt werden. Und so schreibt Giesel in seinem Essay Vorurteile und Einsichten über das Selbstbewußtsein seiner Modelle: „Ich blicke sie an, sie schauen zurück.“

Farina Kolbe