Verrückt nach Ilten

Joachim Giesel, Porträt Lucia S., 2003. Aus der Serie Verrückt nach Ilten.

Joachim Giesel, Porträt L. S. (aus der Serie Verrückt nach Ilten), Ilten (Sehnde), 2001.

„Das ist Benjamin, mein Sohn. Er ist 1 ½ Jahre alt und schläft in meinem Bett mit mir. Ich träume immer davon einen Sohn zu bekommen. Meine Mutter war Königin – Sie ist verstorben vor 3 Jahren. Und jetzt bin ich Deutschlands Königin – keine Prinzessin mehr“.

L. S. hat ihren Hoffotografen Joachim Giesel angewiesen, ein Herrscherinnenporträt von ihr anzufertigen. Dies muss geschehen, jetzt, wo sie nach dem Tod ihrer Mutter nicht mehr nur Prinzessin, sondern „Deutschlands Königin“ ist. Auf ihrem Arm präsentiert sie ihren Sohn, den Thronfolger, so wie sie es bei Queen Elizabeth II. gesehen hat, als diese ihren Sohn Charles in die Kamera gehalten hat. Die funkelnden Ringe an ihren Fingern und die schwere Kette um ihren Hals zeugen von ihrem königlichen Reichtum, während die extravagante Kopfbedeckung auf ihre Herrschaft verweist. Streng der Tradition eines Herrscherporträts folgend, entscheidet sich Giesel bei dem Termin im Klinikum Wahrendorff zudem dafür, L. von unten zu fotografieren. So schaut sie würdevoll auf uns herab – eine Inszenierung der Dynastie, des Reichtums und der Macht. In historischen Fotografien psychisch kranker Menschen werden Gesichts- und Körperbilder in der Regel dazu genutzt, um auf deren psychische Krankheiten zu verweisen. Giesels Fotografien entwerfen bewusst inhaltlich und ästhetisch ein positives Gegenbild zu den als „normal“ geltenden und an der Gesellschaft teilhabenden Menschen. Der Fotograf lässt uns in seinem Porträt an L. S.s persönlicher Geschichte und Fantasie partizipieren, wie sie sich als Königin von Deutschland fühlt. Er zeigt uns einen vorurteilslosen und humanistischen Blick auf den Menschen, jenseits seiner psychischen Erkrankung.

Farina Kolbe