Verrückt nach Ilten

Joachim Giesel, Porträt Wolfgang B. (aus der Serie Verrückt nach Ilten), Ilten (Sehnde), 1998.

Freundlich und aufmerksam blickt Dr. Wolfgang B. aus der Fotografie, so als würde er sein Gegenüber dazu einladen, auf dem Stuhl an der anderen Tischseite Platz zu nehmen. Mit der Linken hat der Facharzt für Psychiatrie eine Akte geöffnet, die vor ihm liegt. Mit der Rechten hält er einen Kugelschreiber und stützt seinen Kopf ab, so als würde er über die Person ihm gegenüber nachdenken, um ein paar Notizen auf dem leeren Blatt zu machen. Mit einem Mal befinden wir uns in einer unerwarteten Rolle – in der von B.s Patient⁎innen. Womöglich ist es unsere Akte, die vor ihm liegt? Den Psychiater und den Fotografen verbindet ein gemeinsames Interesse: Beide stellen den Menschen in den Mittelpunkt ihres Arbeitens. B. geht es „um den ganzen Menschen, um den Menschen mit seinen vielen Eigenheiten, Erfahrungen und Unterschiedlichkeiten,“ wie der Leiter des Klinikums in seinem Kommentar Der Mensch im Mittelpunkt – Faszination Psychiatrie erklärt, der neben dem Porträt abgedruckt ist. Wie in fast allen Werken Giesels steht der Mensch auch in Verrückt nach Ilten im Fokus. Ihm geht es darum, wie er im Kommentar Vorurteile und Einsichten ausführt, das Leben psychisch kranker Menschen, deren Gefühle und Gedanken zu visualisieren. „So können sie sich ‚selbst-bewusst‘ präsentieren, und ihre Fotos werden so zu einer Selbstdarstellung“. 2006 nimmt Giesel B. noch einmal auf: Dieses Mal liegt vor ihm ein Exemplar von Verrückt nach Ilten. Hinter ihm hängt ein blaues abstraktes Gemälde. Es könnte von Joachim R. sein.

Farina Kolbe