Bildjournalismus

Joachim Giesel, Rettung des Hermann Lübke nach dem Grubenunglück in Lengede, Lengede, 7. November 1963.

Es ist der 24. Oktober 1963. Gegen 20 Uhr bricht im Bergwerk Lengede-Broistedt die Abdichtung eines Klärteiches, flutet den dazugehörigen Stollen mit 500.000m3 Schlammwasser und verschüttet 129 Menschen. In den ersten zwei Tagen können sich 89 von ihnen selbst befreien oder durch Bohrungen gerettet werden. Alle übrigen werden für tot erklärt. Trotzdem finden weitere Suchbohrungen statt, bis am Morgen des 3. November Klopfgeräusche aus der Tiefe zu hören sind – ein Hoffnungsschimmer. Drei Tage später trifft Joachim Giesel ein, unklar unwissend über die Dauer seines Aufenthalts und den Ausgang der Aktion. Eine im Auto verbrachte Nacht später erlebt er dann das für unmöglich Gehaltene: Nach 336 Stunden in absoluter Dunkelheit und ohne Nahrung können elf weitere Kumpel lebend geborgen werden. Giesels Foto veranschaulicht die spektakulärste Rettungsaktion deutscher Bergbaugeschichte auf bewegende Weise: Über die Helme der Bergleute hinweg schauen wir auf den dramatischen Moment. Der sichtlich geschwächte Bergmann Hermann Lübke, dessen Augen mit einer dunklen Brille vor dem gleißenden Sonnenlicht geschützt werden, wird von Sanitätern über eine Treppe den gigantischen Rettungsbohrer heruntergehoben, wo eine Trage für seinen Abtransport bereit steht. Im Hintergrund ist ein Kameramann des NDR zu erkennen – es ist der erste Rettungseinsatz, über den live im deutschen Fernsehen berichtet wird. Dass 100 von 129 Menschen das Unglück überleben, geht als „Wunder von Lengede“ in die Annalen der Bundesrepublik ein.

Jonathan Fulda

Zusatzmaterial

Joachim Giesel, Arbeiter auf Rettungsbohrer, Lengede, 1963.