Joachim Giesel, Gestürzte Statue des Geheimdienstgründers Feliks Dzierżyński, Moskau, 30. September 1991.
„Zuerst fahren wir zu den gestürzten Kommunisten, wie z.B. Stalin, Swerdlow, Dzerzinski (1. KGB-Chef) und Kalinin. Sie alle liegen entweder umgestürzt im Dreck oder stehen ohne ihren Sockel auf nacktem Boden“, notiert Christina Förster am 30. September 1991 in ihrem Reisebericht. Wohl an keinem anderen Ort haben die Hannoveraner Photographen den Umbruch in der Sowjetunion so unmittelbar erfahren, wie an diesem bizarren lieu de mémoire im Gorki-Park. Hier werden Denkmäler der sowjetischen Helden von Lenin bis Stalin, die in Folge des Putsches vom 19. bis 21. August 1991 gegen Präsidenten Gorbatschow, gestürzt wurden, provisorisch gelagert. In Giesels Photographie hat es vier von ihnen aus ihrem ursprünglichen Inszenierungskontext in einen sonnendurchfluteten Birkenhain verschlagen. Im Zentrum erhebt sich die Statue eines Architekten des Roten Terrors, Jakov Sverdlov, während rechts eine Stalin-Büste auf dem Boden abgestellt worden ist. Ist links noch ein Teil einer Statue von Michail Kalinin auszumachen, ragt im Vordergrund die Statue des „gefallenen“ Feliks Dzierżyński, Gründer der sowjetischen Geheimpolizei, ins Bild. Tatsächlich haben wir es hier mit einem Zeitdokument zu tun: Nur wenige Tage vor Giesels Besuch, am 22. August, wird die 1958 von Yevgeny Vuchetich errichtete Dzierżyński-Bronzestatue vor dem KGB-Gebäude „Lubjanka“ gestürzt. Es ist ein Denkmalsturz von großer Symbolik, der eine ikonoklastische Welle im ganzen Land auslöst.
Martin Schieder