Joachim Giesel, Freizeit, Hannover, 1974.
Schlappen aus, Füße hoch, Glotze an! Die Szenerie, die Joachim Giesel 1974 anlässlich der jährlichen Ausschreibung des Arbeitskreises Bild im Centralverband Deutscher Photographen inszeniert, zeigt einen vermeintlich typischen Feierabend in einem kleinbürgerlichen Haushalt. Nach einem langen Arbeitstag hat es sich ein Paar auf Fernsehsessel und Sofagarnitur, die mit zahlreichen Kissen drapiert sind, bequem gemacht. Es findet sich keine Stelle in der Stube, die nicht mit irgendetwas belegt wäre. Vasen auf Häkeldeckchen schmücken die Fernsehkonsole, ein Standaschenbecher steht zwischen Couch und Beistelltischchen, das künstliche Weintrauben und Dekoartikel zieren. Inmitten Gelsenkirchener Barock und Eiche-Rustikal leuchtet der Fernseher aus dem Dunkeln und verspricht Belohnung für einen langen Tag. In den 1970er Jahren können sich immer mehr Menschen einen Fernseher leisten, manche sogar schon mit Farbröhre. Doch noch ist das Programm auf die drei öffentlichen Sender beschränkt. Das Vorabendprogramm lockt mit der Sportschau oder Hitparade. Nach dem Abendbrot ertönt um 20 Uhr der Gong der Tagesschau. Anschließend Tatort oder lieber Columbo? Wer ab 1975 die Fernbedienung besitzt, hat die Macht. Während der Mann geistesabwesend auf den flimmernden Bildschirm starrt, sind seiner Gattin bereits die Augen zugefallen. Sie trägt noch ihre Kittelschürze, die Fernsehwoche ist ihr aus der Hand geglitten. Das Gilde Pilsener im Wasserglas ist bereits schal. Fernsehen ist das beste Schlafmittel – wer kennt es nicht?
Marietta Mann