Unternehmer, Ausbilder, Kurator, Lobbyist, Autor und Dozent. Joachim Giesel ist nicht nur Inhaber eines erfolgreichen Fotoateliers in Hannover, hinter den Kulissen engagiert er sich auch in verschiedenen Funktionen und Institutionen für das Medium Fotografie. Das Atelier Photographie Joachim Giesel, zuerst in der Bödeckerstraße 60, später in der Plathnerstraße 9 in Hannover bietet auf über zwei Etagen mit einem Büro, Atelier, einer Dunkelkammer sowie einem Ankleidezimmer Kapazitäten für aufwendige Produktionen. Zu seinen Kundinnen zählen Firmen wie Bahlsen, Continental, Lufthansa, Pelikan, Rossmann und Siemens, verschiedene Automobilhersteller wie Mercedes und Volkswagen sowie Zeitungen und Zeitschriften wie Bravo, Brigitte, Hannoversche Presse und der Stern. Über die Zeit erlernen fünfzehn Fotografinnen ihr Handwerk bei Giesel. Im Jahr 1972 ist er an der Gründung der spectrum Photogalerie beteiligt. Zudem ist er seit den 1960er Jahren in mehreren Verbänden tätig: als Vorsitzender im Arbeitskreis Bild und als erster Vorstandsvorsitzender des Centralverbandes Deutscher Fotografen, was dem Amt des Bundesinnungsmeisters im Fotohandwerk gleichkommt, sowie als Mitglied im Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter. Darüber hinaus beruft man ihn in die Gesellschaft Deutscher Lichtbildner und in die Deutsche Gesellschaft für Photographie. Giesel setzt sich im Centralverband Deutscher Fotografen für Reformen in der Ausbildung ein, da das Fotografenhandwerk durch die Einführung der Fotografie als Studiengang sowie die Emanzipation der Fotografie als eigenständige Kunstform vor neuen Herausforderungen steht. In dem Zusammenhang veröffentlicht er zahlreiche Beiträge in der (Fach)Presse – wie Die Ausbildung zum Fotografen von morgen – müssen wir umdenken? (1979) und Wie überlebt das Fotohandwerk im Zeitalter der Elektronischen Medien? (1988), in denen er auf Missstände in der Ausbildung hinweist. Giesel kritisiert zum einen, dass Fotografie im Lehrplan nicht als Kunstform behandelt werde. Zum anderen seien die Lehrkonzepte überholt, da diese nicht die Zusammenführung von technischen Grundlagen, wie sie an Berufsschulen vermittelt würden, mit ästhetischen Fragen der Bildgestaltung, denen sich das Fotodesign widme, beinhalteten. In seinen unterschiedlichen Rollen engagiert sich Giesel daher für eine Reformierung der Ausbildung, in der handwerkliche wie künstlerische Aspekte berücksichtigt werden, wobei in der professionellen Fotografie stets ein hoher technischer Standard eingehalten werden müsse. Indem sich Giesel einen Namen als Werbe- und Porträtfotograf sowie Bildjournalist macht, als Meister und Funktionär die Fotoausbildung reformiert, sein Wissen als Autor und Dozent weitergibt und durch seine kuratorische Tätigkeit die Fotografie im musealen Kontext etabliert, ist er wesentlich an der Institutionalisierung der Fotografie in der Bundesrepublik beteiligt.

Adrian-Rezan Öner