Grenzland–Niemandsland

Joachim Giesel, Stillgelegte Bahnstrecke bei Frieda (aus der Dokumenation Grenzland–Niemandsland), Werra-Meißner-Kreis in Hessen, 1981.

Geradewegs laufen die Bahngleise auf einen weißen Pfahl mit roter Markierung unmittelbar vor einem Grenzzaun zu. Hier, im Tal zwischen dem thüringischen Großtöpfer und dem hessischen Frieda trafen einst zwei Bahnstrecken aufeinander: die Strecke Heiligenstadt-Schwebda und die sogenannte „Kanonenbahn“, eine in den 1870er Jahren errichtete Strecke zwischen Berlin und Metz im damals kaiserlichen Elsass-Lothringen. Die eine diente dem Personen- und Güterverkehr, die andere vor allem militärischen Zwecken. Beide Strecken verliefen über das einen Kilometer südlich liegende Friedaviadukt, welches deutsche Soldaten am 3. April 1945 auf dem Rückzug vor US-Truppen sprengten. Nach dem Krieg verzichtete man auf den Wiederaufbau des Viadukts, der Bahnverkehr wurde eingestellt. Das Teilstück auf sowjetischer Besatzungsseite zwischen Heiligenstadt-Ost und Großtöpfer wurde noch bis 1947 befahren und dann demontiert. „Eisenbahn-Anlagen, die jetzt nicht mehr befahren werden, die, von Unkraut überwuchert, langsam aber stetig veröden“, heißt es 1980 in Giesels Ausstellung Grenzland–Niemandsland in der Staatlichen Landesbildstelle Hamburg. Auf seiner Fotografie geht es rechts hinauf zum Franziskanerkloster auf dem Hüftensberg. Hinter dem Grenzzaun lassen sich Dächer von Großtöpfer, der Turm der Kirche Der gute Hirte und ein Grenzturm ausmachen. Geradezu absurd wirkt da der Pfahl im Zentrum: Signalisiert er doch das Offensichtliche für eine Bahn, die längst nicht mehr fährt: Hier geht es nicht weiter! Heute verläuft dort ein Wanderweg.

Konrad Schopplich