Joachim Giesel, Porträt Edelgard Bulmahn (aus der Serie 100 Hannoversche Köpfe), Hannover, 2006.
Text zitiert aus: Vera de Vries: Edelgard Bulmahn, in: Joachim Giesel, Anne Weber-Ploemacher und Tino Zeyen (Hg.): 100 Hannoversche Köpfe, Hameln, 2006, S. 46.
„Ihr Büro ist nur einen Katzensprung vom Kanzleramt entfernt. Alle Räume im nietnagelneuen Paul-Löbe-Haus sind voll verglast: Jeder Abgeordnete kann jeden Abgeordneten jederzeit sehen. Bei so viel Transparenz gilt es, sich nichts anmerken zu lassen.
Edelgard Bulmahn ist Expertin darin, sich nichts anmerken zu lassen. Gerade erst hat die 55jährige nach sieben Jahren ihren Ministerstuhl für den Koalitionspartner räumen müssen, obwohl die Sozialdemokraten unter Kanzlerin Angela Merkel weiterhin mitregieren. Ist sie traurig darüber? Wütend? Enttäuscht? Souverän spult die Sozialdemokratin das Einerseits-Andererseits des Berufspolitikers ab. In Ihren sieben Jahren als Ministerin für Bildung und Forschung habe sie „wichtige Ziele“ erreicht. Sie nennt die Juniorprofessur und die Ganztagsschule, da sei der „Durchbruch“ gelungen, den Forschungsbereich Nano- und Gentechnologie, „wo die Weichen gestellt worden seien“ und die „Exzellenzinitiative bei den Hochschulen“, die die Hochschullandschaft verändern wird. Natürlich sei das jetzt „auch ein Abschied“, aber der Ausschussvorsitz „Technologie und Wirtschaft“ verschaffe ihr „neue Herausforderungen“
Sie hält einen Moment inne, holt Luft und schaut auf. So eine einfache Frage. War das die Antwort? Edelgard Bulmahn lacht fast ein wenig schüchtern. „Richtig, ich soll über mich reden. Und kann mich nicht hinter der Politik verstecken?“
Die Politik hat sie jedenfalls früh für sich entdeckt. 1951 im westfälischen Petershagen als Tochter eines Binnenschiffers und einer Friseurin geboren, führte sie schon als Kind leidenschaftliche politische Debatten mit ihrer Mutter. „Wir hatten vor allem drei Themen: Die Bewältigung des Nationalsozialismus, soziale Ungleichheit und die Rolle der Frau.“ Dass ihr Vater dabei wenig zu melden hatte, lag vor allem daran, dass er als Schiffer häufig abwesend sein musste. Und so lernten Edelgard und ihre Schwester viel vom ausgeprägten Gerechtigkeitssinn der Mutter. Noch bevor sie das Abitur machte, trat Edelgard der SPD bei, ihre Schwester folgte ihr darin später nach. Keiner in unserer Familie war in einer Partei. Es war meine Entscheidung. Schon auf der Schule habe sie gemerkt, dass man die Welt nicht allein verändern und gerechter gestalten könne. Da es im kleinen Petershagen noch keine Jugendorganisation gab, gründete die Schülerin den ersten Juso-Verband am Ort. In der Schule war sie Schulsprecherin und ließ sich von Physiklehrern, die glaubten, dass Mädchen keinen Sinn für Mathematik hätten, nicht verschrecken. Dass die spätere Bildungsministerin auch einmal sitzen geblieben ist, wurmt sie noch heute. Nach dem Abitur verbrachte Edelgard Bulmahn ein Jahr in einem israelischen Kibbuz und begann dann in Hannover mit dem Studium der Politologie und Anglistik. Dass die frischgebackene Studienrätin der Lutherschule im Stadtteil Linden ihren Lebensmittelpunkt und politische Heimat finden sollte, bezeichnet sie noch heute als ihr größtes Glück. „Linden“, erklärt sie für alle Nicht-Hannoveraner, „ist ein sehr lebendiger Stadtteil: Studenten, Künstler, Ausländer, Arbeitslose, Rentner, alles gemischt. Die politischen Diskussionen, die wir dort geführt haben, waren wunderbar.“ Besser als je in Berlin. Der Satz steht im Raum, aber Edelgard Bulmahn sagt ihn nicht.
In Hannover Linden wohnt auch ihr Ehemann, mit dem sie die Wochenenden in der niedersächsischen Landeshauptstadt verbringt. Er trat der SPD zwar ebenfalls bei, aber die aktive politische Rolle überließ er seiner Frau. Warum? „Die ständigen internen Machtkämpfe, das wäre nichts für ihn.“ Und sie selbst? Es gibt Menschen, die genießen das. Ich finde es lästig. Aber um der Sache willen, muss es sein.“ Um der Sache willen, diese vier Worte prägen das Politikverständnis von Edelgard Bulmahn am ehesten. Aber dass sie als Streiterin für Bildung und Forschung wohl auch manchmal an das Mädchen aus Petershagen gedacht hat, räumt sie ein. Ich habe mich immer für Kunst interessiert und wenn ich mir etwas wünschen könnte: Ich würde gerne bildhauern.“ Sie wird richtig lebhaft bei diesem Gedanken, obwohl die voll verglasten Abgeordneten rundum sie beobachten können. Der Abschied vom Ministeramt, das ist auch eine Befreiung. Auf einmal habe ich wieder Zeit.“ Warum auch nicht. Schließlich bietet das Leben noch mehr.“