Joachim Giesel, Porträt Hans-Joachim Flebbe (aus der Serie 100 Hannoversche Köpfe), Hannover, 2006.
Text zitiert aus: Matthias Vieregge: Hans-Joachim Flebbe, in: Joachim Giesel, Anne Weber-Ploemacher und Tino Zeyen (Hg.): 100 Hannoversche Köpfe, Hameln, 2006, S. 56.
„Es ist der 27. August 2005 und die Uhr schlägt 15:48 Uhr, als es sich Hans-Joachim Flebbe in der AOL- Arena mit seinem Sohn verdirbt. Er kann es nicht glauben, dass sein Vater Stainers Schuss zum 1:0 für Hannover 96 gegen den Hamburger Sportverein bejubelt. Vier Minuten später sorgt Mahdavikia für den Ausgleich und stellt den Familienfrieden wieder her. An Tagen wie diesen offenbart sich, dass das Herz des geschäftsführenden Gesellschafters und Erfinder der CinemaxX AG noch immer für seine Heimatstadt schlägt, auch wenn er seit längerem an der Alster sein Domizil aufgeschlagen hat. In Hannover hat er erlebt, dass man in Städten dieser Größe viel aufrichtiger und direkter arbeiten kann als in den Metropolen dieser Republik. Nicht nur, dass man sich öfter in den Kneipen trifft; man kann den anderen auch nichts vormachen: „Leistung zählt, denn über kurz oder lang kommt alles raus.“ Und Flebbes Bilanz kann sich sehen lassen, wirkt wie eine Variation des amerikanischen „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Mythos:
1972 übernimmt der damals 21jährige BWL-Student die Programmgestaltung des traditionsreichen Apollo-Kinos in Linden, das sich mühsam mit „Schulmädchen-Reports“ über die Runden schleppte. Anspruchsvolle Unterhaltung für ein vorwiegend studentisches Publikum bescherte dem Haus ausverkaufte Vorstellungen – eines der ersten Programmkinos Deutschlands war geboren. 1977 eröffnete der gebürtige Hannoveraner sein erstes eigenes Kino am Raschplatz, bereits ein Jahr später erhält es vom Bundesministerium des Innern eine Auszeichnung für ein hervorragendes Jahresprogramm“. In den Achtzigern übernimmt das Unternehmen weitere Traditionshäuser und Programmkinos in ganz Deutschland, die Auszeichnung für das Filmkunstangebot bleibt ein treuer Begleiter des Unternehmens. Doch Flebbe wollte mehr, hatte Visionen von Kinopalästen mit großen Leinwänden, perfektem Ton und ansteigenden Sitzreihen, die nichts mehr gemein hatten mit den damals typischen, verschachtelten Kinocentern mit ihren teils wohnzimmergroßen Vorführräumen. So gründete er 1989 gemeinsam mit den Medienunternehmern Rolf Deyhle und Dr. Bodo Scriba die CinemaxX-Gesellschaft und eröffnete am 8. März 1991 das erste Cinemaxx in Hannover. Heute betreibt das inzwischen börsennotierte Unternehmen bundesweit 37 Multiplexkinos sowie zehn renommierte traditionelle Programmkinos.
Rückblickend erkennt Flebbe zwei Gründe für seinen Erfolg: „Der eine ist, dass ich sehr viel Glück gehabt habe bei meiner Karriere. Aber ich habe auch unheimlich viel gearbeitet.“ Der Drang zur Selbständigkeit war eine wesentliche Triebfeder: „Mit meinen Eltern habe ich mich immer hervorragend verstanden, von meinem Vater habe ich die Liebe zum Kino geerbt. Doch ich wollte früh auf eigenen Beinen stehen, ein eigenes Auto, eine eigene Wohnung und Geld für Reisen haben. Also habe ich erst Zeitungen ausgetragen und dann eine kleine Spedition gegründet.“
Neben Disziplin zählt er seine Risikobereitschaft zu seinen Stärken, gesteht aber, teilweise zu hoch gepokert zu haben. „Ich habe in Hannover mit Beteiligungen am Regenwaldhaus und ähnlichen Abenteuern in anderen Städten das Geld, das ich mit dem Börsengang und durch das Kino verdient habe, aufs Spiel gesetzt. Das wirft mir meine Frau als meine größte Schwäche vor.“ Flebbe selbst bedauert am ehesten, dass er es nicht geschafft hat, wenigstens in der Regionalliga Fußball zu spielen, war er doch ein guter und leidenschaftlicher Spieler.
Einen Teil dieser Emotionalität hat er sich erhalten, auch wenn zumeist kaufmännisch-hanseatisches Kalkül sein heutiges Handeln bestimmt. Doch das politische und soziale Engagement ist nicht auf der Strecke geblieben. So hat Flebbe den viel diskutierten türkischen Film „Tal der Wölfe“ aus seinen Kinosälen verbannt, weil er niedere Instinkte anspricht und gerade in Zeiten der Konfrontation durch den Karikaturenstreit Hass erzeugt und zum Auseinanderdriften verschiedener Bevölkerungsgruppen führt. „Deshalb haben wir ihn aus Überzeugung aus dem Programm genommen, auch wenn wir viel Geld verloren haben. Und nicht, weil uns irgendjemand dazu aufgefordert hat.“ Auch die Visionen sind ihm geblieben. So hat er den Traum nicht aufgegeben, die Raschplatzkinos durch ein Arthouse-Projekt zu ersetzen. „Ein Kunstfilmkino mit den Vorteilen eines Cinemaxx: mit ansteigenden Sitzreihen, großer Leinwand, tollem Ton, gutem Bild und ansprechender Gastronomie. Das würde gut zu einer Großstadt wie Hannover passen.“ Und wer wüsste das besser als Hans-Joachim Flebbe?“