Vorstädte

Joachim Giesel, Gassi-Gänger (aus der Dokumentation Vorstädte), Deutschland, 1979-1980.

Weiße Pfeiler flankieren den linken Rand einer asphaltierten Straße und führen den Blick in die Weite einer Trabantenstadt. Die Szenerie, die sowohl Joachim Giesel als auch der Fotograf Albert Renger-Patzsch einfangen, zeigt erstaunliche Parallelen, obwohl sie zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten und an völlig verschiedenen Orten entstanden. Dies ist kein Zufall. In seiner Abschlussarbeit führt der hannoversche Fotograf den Mitbegründer der neusachlichen Fotografie als Referenz an: „Ich lehnte mich an die Fotos von Edward Weston und Albert Renger-Patzsch an, die beide aus stupiden, teilweise langweiligen Industrie- und Hauslandschaften durch ihre subjektive Darstellung eine gewisse formale Ästhetik erreichten“. Anders als Renger-Patzsch jedoch, der in seiner Fotografie Landstraße von 1929 einige Personengruppen winzig klein in der Ferne verschwinden lässt, setzt Giesel einen Mann mit seinem Hund als zentrales Bildelement ein. So entsteht der Eindruck, dass der einzelne Mensch vor der Kulisse der monotonen Großwohnsiedlungen völlig verloren wirkt. Die Diplomarbeit Vorstädte entsteht in einem akademischen Kontext, in dem Giesel sein Wissen über die Geschichte der Fotografie demonstriert. Mit dem Verweis auf Vorbilder wie Weston, Renger-Patzsch oder die Vertreterin der sozialdokumentarischen Fotografie Dorothea Lange verortet er sich strategisch in einem fotohistorischen Kontext zwischen dokumentarischer und subjektiver Fotografie.

Jule Lang

Zusatzmaterial

Renger-Patzsch, Albert: Landstraße bei Essen, 1929. (© Albert Renger-Patzsch Archiv / Ann und Jürgen Wilde, Zülpich / VG Bild-Kunst, Bonn 2024)