Was macht die Bilder von Joachim Giesel zu Images of Gender? Im Zentrum von Giesels Werk steht der Mensch. Und wer den Menschen abbildet, bildet immer auch Geschlecht ab. „Als Fotograf bin ich Chronist meiner Zeit, und die Fotografie ist für mich das beste Medium, Menschen anderen Menschen vorzustellen.“ So beschreibt der Fotograf selbst seine Aufgabe – er dokumentiert nicht nur Individuen, sondern die Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund muss Giesels Œuvre auch als ein Archiv von Geschlechterbildern gelesen werden, denn seine Fotografien sind zum einen von gesellschaftlichen Normen ihrer Entstehungszeit, andererseits von den Vorstellungen sowohl der Auftraggeber*innen als auch von seinen persönlichen Wahrnehmungen gegenüber Geschlecht geprägt. In der heutigen Gesellschaft, die sich immer mehr von einem binären Geschlechtermodell entfernt, gilt es daher, Giesels Fotografien historisch zu verorten. Die Möglichkeit, sein Werk in seiner Gesamtheit einzusehen, eröffnet die Gelegenheit, Darstellungen von Geschlecht sowohl in einzelnen Fotografien als auch im Kontext seiner Karriere in ihrem Wandel zu betrachten. So kann man nachvollziehen, wie der Fotograf Rollenbilder produziert und reproduziert hat. Ebenso lassen sich Prozesse der Sensibilisierung, Hinterfragung und Dekonstruktion von Stereotypen aufzeigen. Um Images of Gender in Giesels Werk zu visualisieren, wurden Werbefotografien, bildjournalistische und freie Arbeiten ausgewählt, die aus heutigem Blick geschlechterspezifische Inhalte transportieren. Während in einem Reklamebild der Deutschen Bundesbahn aus den 1970er Jahren die Sexualisierung des Modells sichtbar wird, lässt sich die dokumentarische Fotografie einer feministischen Aktion hinsichtlich der Blicke und Einstellungen der abgebildeten Menschen befragen. In den Publikationen Photo-Portraits aus Hannover (1990) sowie 100 Hannoversche Köpfe (2006) inszeniert Giesel Personen des öffentlichen Lebens sowohl in konventionellen als auch normabweichenden Geschlechterrollen. Mit der Dokumentation der Travestie-Show Madame Chatou beweist der Fotograf etwa sein Interesse am Aufbrechen von Rollenbildern. Die Berücksichtigung des historischen Kontexts ist also wesentlich: Giesels Fotografien sind Zeitdokumente, die reproduzieren, aber auch reflektieren – heute ermächtigen sie Betrachter*innen, diese Reflexionen weiterzudenken. Die Grenzen zwischen Repräsentation gesellschaftlich gängiger Geschlechterbilder und Reproduktion von Sexismen sind in der Betrachtung historischer Fotografien nur schwer trennscharf festzulegen. Heute kann man kritisch auf diese Bilder blicken, da die Sensibilisierung für die Repräsentation, das gesellschaftliche und private Gewicht von Gender, fortschreitet. Giesels Rolle als männlicher Fotograf in einer von Sexualisierung geprägten Werbelandschaft der 1970/80er Jahre ist dabei differenziert von seinen freien Arbeiten derselben Zeit und seinen späteren Porträts zu betrachten.
Lea Weiß