Mich beeindruckt ihre Disziplin, die harte, körperliche Trainingsarbeit und die Harmonie von Solisten mit der Gruppe“, so begründet Joachim Giesel seine Faszination für den Tanz. Zwanzig Jahre lang fotografiert er Tänzer*innen, Sänger*innen und Schauspieler*innen für die Niedersächsischen Staatstheater. Zwischen 1979 und 1999 nimmt er an hunderten Proben am Theater, Ballett und an der Oper teil. Diese professionelle Arbeit spiegelt sich in seinem Archiv wider: Fast ein Drittel der circa drei Millionen Dokumente sind Fotografien aus den Staatstheatern. Giesel fotografiert ausschließlich während der Proben und plant sorgfältig, wie er sich durch die komplexen Choreografien und diffizilen Lichtverhältnisse bewegen muss, um die Tänzer*innen in verschiedensten Momenten fotografisch festzuhalten. Meist bleiben ihm nur wenige Sekunden, um fesselnde und eindrucksvolle Bewegungen einzufangen, „denn es wäre ja schade, wenn man den Schwan von hinten sterben sieht“. Stets sucht Giesel deshalb nach der besonderen Perspektive. Der Blick hinter die Kulissen gehört ebenfalls zu Giesels Praxis. So gibt seine auf der Triennale in Novi Sad ausgezeichnete Serie Fundus (1983) Einblicke in die Requisitenkammer der Staatstheater. Seine Aufnahmen aus den Generalproben mit Kostüm werden für Broschüren und Poster verwendet oder dienen als Illustrationen in Programmheften, Pressebeiträgen und anderen Veröffentlichungen. Die langjährige Zusammenarbeit mit den Staatstheatern verschafft Giesel eine gesicherte Einnahmequelle, welche ihm die Realisierung freier Projekte ermöglicht – etwa die Serie Tänzer-Portraits (1989), bei der Giesel Tänzer*innen von der Bühne in sein Studio holt. 1990 entsteht eine Aufnahme des legendären französischen Pantomimen und Regisseurs Jean Soubeyran, für die er den Kodak European Gold Award erhält. Mehmet Balkan, Robert Underwood sowie Sonia Santiago sind weitere Stars aus der Ballettwelt, die von ihm fotografiert werden. Giesel erlangt internationale Anerkennung, als ihn der britische Fotopapierhersteller Ilford für seinen, jedes Jahr in hoher Auflage erscheinenden, Kalender einlädt. Die von ihm gestalteten Kalenderblätter für das Jahr 1997 zeigen Ballerinen in ungewöhnlichen Settings beim Aufwärmen, Tanzen oder Posieren. Giesels Fotografien fangen kontrastreich die Essenz des Tanzes ein, indem sie dessen Grazie, Kraft und Emotionen mit innovativen Kompositionen, mit spektakulären Licht-Schatten-Effekten sowie mit einem ästhetischen Verständnis festhalten, welches aus Giesels langer Erfahrung und Leidenschaft für den Tanz resultiert. Seine Tanzfotografien sind „Bilder voller Leichtigkeit und Poesie“, wie Dirk Tils in der Hannoverscher Allgemeinen schreibt.

Emilia Pfeiffer