Joachim Giesel, Porträt Madjid Samii (aus der Serie 100 Hannoversche Köpfe), Hannover, 2006.
Text zitiert aus: Bettina Zinter: Madjid Samii, in: Joachim Giesel, Anne Weber-Ploemacher und Tino Zeyen (Hg.): 100 Hannoversche Köpfe, Hameln, 2006, S. 168.
„Seit vierzig Jahren beschäftigt sich Prof. Madjid Samii mit dem Gehirn, diesem „Wunderwerk der Evolution“. Gerade mal anderthalb Kilo schwer, steuert es alle Vorgänge in unserem Körper. „Ich kenne keine faszinierendere Aufgabe, als hundert Milliarden Nervenzellen auf der Spur zu sein.“ Gerade hat er in einer fünfstündigen Operation einer Patientin aus Saudi-Arabien einen faustgroßen Hirntumor entfernt. „Er vollbringt Wunder, der Samii, er ist Professor Superhirn!“ sagen seine Patienten. Er half Prominenten wie dem Dirigenten Herbert von Karajan, dem ehemaligen VW-Manager Daniel Goeudevert oder dem Milliardär Friedrich Karl Flick. Samii, der im Medizinerolymp ganz oben steht, dem es zu verdanken ist, dass die deutsche Neurochirurgie Weltstandard hat, will jedoch vor allem eines: Kranken und leidenden Menschen helfen. Als er einem Ruf an die Universität Mainz folgen wollte, haben ihn zwei Männer in Hannover fest- und alle Versprechungen eingehalten: Ernst Albrecht, damals niedersächsischer Ministerpräsident, und der Oberbürgermeister der Stadt, Herbert Schmalstieg. In Hannover verwirklichte er auch seinen Lebenstraum: das International Neuroscience Institute, INI genannt, das im EXPO-Jahr 2000 auf seine Initiative hin eröffnet wurde. Der futuristische Glasbau hat die Form eines Gehirns. Sechs Operationssäle, Platz für hundert Krankenhaus-Patienten, Intensivstation mit vierzehn Betten, Forschungslabors und modernste technische Ausrüstung machen das INI zu einer der führenden Kliniken der Neurochirurgie. „Meine Vision ist wahr geworden. Ich wollte die Felder der Neurowissenschaft unter einem Dach vereinen.“ Anfangs stand Samii harsch in der Kritik wegen der Kosten (siebzig Millionen Euro) und der Unterbelegung. Heute sind Beschwernisse und Hürden verkraftet. Seit Bestehen wurden bislang 5.000 Patienten stationär und 10.000 ambulant betreut, davon dreißig Prozent aus dem Ausland.
Geboren wurde Samii 1937 in Teheran. Mit 18 Jahren kam er nach Deutschland, studierte in Mainz Medizin. 1977 übernahm er die Leitung der Neurochirurgie im hannoverschen Nordstadt-Krankenhaus, 1988 folgte ein Ruf an die Medizinische Hochschule. Als der junge Arzt damit begann, Operationen im menschlichen Gehirn durchzuführen, gab es sie noch nicht, die modernen Verfahren wie Kernspintomographie, mit denen sich Tumore im Hirn präzise aufspüren lassen: „Neurochirurgen heute stehen im Spannungsfeld zwischen Hightech und ärztlicher Kunst“, sagt er und prophezeit, eines Tages können auch Lahme wieder gehen.“
Deshalb konzentriert sich Samii auf die Neurobionik, die sich zum Ziel setzt, mit Hilfe von Mikrochips defektes menschliches Nervengewebe wieder funktionsfähig zu machen. In Hannover erhielten 22 zuvor vollkommen taube Patienten ihr Gehör wieder. Ihnen wurde von Samii ein Mikrochip direkt in das Stammhirn implantiert.
Im 7. Stock des „Gehirns“ liegt Samiis Büro. Ein verschlungenes Gebilde aus Herz, Hand und Hirn steht auf seinem Schreibtisch. Geschenk einer Patientin, das Tatkraft, Gefühl und Verstand des Professors symbolisiert. All diese Eigenschaften braucht man, wenn man wie Samii über 20.000 Menschen aus sechzig Ländern operiert hat, auch an Stellen, an die sich kein Mediziner vor ihm traute. Schon 1971 hat er als erster eine Hand replantiert. Damals eine Sensation. Die Trennung der siamesischen Zwillinge Ladan und Laleh hat er abgelehnt: „Das Risiko war mir zu hoch.“
Samii operiert täglich, wenn er nicht im Flieger sitzt. Im Jahr düst er dreimal um die Welt. Die Verleihungen von Ehrendoktor- und Ehrenprofessor-Würden zählen nur noch seine Sekretärinnen. Stolz macht ihn, dass Samii junior schon leitender Oberarzt im INI ist, dass in Peking ein zweites INI gebaut wird „nur dreimal größer“ und ihn zum Präsidenten ernannte. 2008 wird es eröffnet. In Montreal wurde er 2004 zum „Arzt des Jahres“ gekürt. Als erster Deutscher seit 1960 und als erster Neurochirurg weltweit. „Kommt der Tag, an dem ich nichts mehr verbessern kann, höre ich auf. Aber ich freue mich jeden Tag über neue Möglichkeiten“, sagt der Professor und lächelt. Zum Weiterforschen ermuntern ihn seine Frau Mahschid, seine beiden Kinder und Freunde, wie Ernst August von Hannover oder Scorpions-Sänger Klaus Meine. Entspannung findet Samii beim Golfspielen und Lesen seiner geliebten persischen Dichter Hafis und Saadi. Er bewundert Goethe, der im West-Östlichen Diwan Orient und Okzident zusammenführt. Zwischen den Welten, den Kulturen zu pendeln, ist ihm mehr als vertraut, „das hat mich zu einem Weltbürger gemacht.“